K4: Verdecktes Übersetzen - Covert Translation
Projektleitung: Prof. Dr. Dr. h.c. Juliane House, Institut für Allgemeine und Angewandte Sprachwissenschaft
Wissenschaftliche Mitarbeiter/innen: Viktor Becher, Svenja Kranich
Zusammenfassung
Untersucht wird die Hypothese, dass die Dominanz des Englischen in verdeckten Übersetzungen aus dem Englischen ins Deutsche und in andere europäische Sprachen sowie in Paralleltexten zu Angleichungen an anglo-amerikanische Textnormen führt. Diachrone qualitative und quantitative Analysen populärwissenschaftlicher und wirtschaftlicher Textkorpora haben die Hypothese in Bezug auf bestimmte funktionale Kategorien des Deutschen bestätigt und geben erste Hinweise auf durch das Englische ausgelöste Veränderungen in sprachspezifischen Strategien der Informationsorganisation im Deutschen.
Ausgangsfragestellung und Kenntnisstand
Das Projekt untersucht, ob und wie durch das Englische als globaler Lingua franca deutsche Textnormen, anglo-amerikanischen kommunikativen Konventionen angepasst werden. Unsere Annahme ist, dass sich die Verwendung sprachlicher Mittel in deutschen Übersetzungen aus dem Englischen allmählich entlang der anglophonen Normen des Ausgangstextes verändert. Wir nehmen weiter an, dass in Anlehnung an die englische Ausgangssprache veränderte Vertextungskonventionen und kommunikative Präferenzen im Deutschen zu Sprachvariation in dem jeweiligen Register führen, die – sofern sie in einem Prozess der quantitativen Norminnovation in die monolinguale Textproduktion aufgenommen werden – zum Ausgangspunkt für Sprachwandel in der Zielsprache werden können.
Bisherige Ergebnisse der Projektarbeit lassen sich wie folgt zusammenfassen: Im einzelnen Textexemplar drückt sich die in Anlehnung an das Englische veränderte Verwendung sprachlicher Mittel durch eine stärkere Ausprägung der interpersonalen gegenüber der ideationalen Funktionskomponente (im Sinne Hallidays) aus, sowie durch eine stärkere Ausprägung referentieller Implizitheit statt Explizitheit in der Darstellung von Sachverhalten. Genauer: Die veränderte Verwendung sprachlicher Mittel im Deutschen führt über den untersuchten Zeitraum von 24 Jahren (1978-2002) in den Phänomenbereichen "Subjektivität" und "Adressatenorientierung" zu einer Angleichung deutscher kommunikativer Präferenzen an anglo-amerikanische. Subjektivität und Adressatenorientierung umfassen die sprachliche Realisierung sprecherseitiger Einstellungen und Bewertungen der Proposition und unterschiedliche Strategien der Adressatenlenkung. Sie sind als funktionale Konstituenten eines Registers zu sehen, deren Ausprägung von sprachspezifischen Faktoren, diskurspragmatischen Präferenzen und dem jeweiligen Zweck des kommunikativen Handelns bestimmt wird.
Im Deutschen und im Englischen werden "Subjektivität" und "Adressatenorientierung" u.a. durch die Wahl sprachlicher Mittel zum Ausdruck von Modalität, Sprecher-Hörer-Deixis und mentaler Prozesse, durch metakommunikative Frames und durch verschiedene konnektierende Mittel zur (makro)syntaktischen Verknüpfung ausgedrückt. Unsere qualitativ und quantitativ-diachronen Analysen im Genre Populärwissenschaft verweisen sowohl in deutschen Übersetzungen als auch in deutschen Paralleltexten auf eine auf die Präsenz englischer Textnormen zurückzuführende Veränderung im Vorkommen bestimmter sprachlicher Mittel aus den funktionalen Kategorien Konjunktionen, Pronomina, Partikeln und Verweiswörter.
Es ist die veränderte Verwendung sprachlicher Mittel dieser Kategorien, die dabei über den rein quantitativ zunehmenden Ausdruck von Subjektivität und Adressatenorientierung im Deutschen hinaus auch bestimmend ist für die Variation in den Mustern der Informationsorganisation und der Textstrukturierung im Deutschen. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Einfluss des Englischen nicht nur auf eine Veränderung der Frequenz der sich als anfällig erwiesenen sprachlichen Mittel zu beziehen ist, sondern insbesondere auch auf Veränderungen in deren Verwendung im Bezug auf ihre Position in Satz und Text, ihre Kookkurrenzen und Kollokationen.
Subjektivität und Adressatenorientierung erscheinen somit als textuelle Phänomene, deren Ausprägung entlang anglophoner Normen bisher nicht erforschte Auswirkungen auf syntaktische und textuelle Strukturierungskonventionen im Deutschen zu haben scheint. Es gilt, herauszufinden, ob es aufgrund der nachgewiesenen Variation in der Verwendung bestimmter funktionaler Kategorien – die wesentlich durch das soziale Faktum der Omnipräsenz des Englischen ausgelöst zu sein scheinen (vgl. zum entscheidenden Einfluss sozialer Faktoren z.B. Thomason&Kaufman 1988; Thomason 2003) – zu Variationen in der Textstruktur durch die vom Englischen beeinflusste Ausformung der interpersonalen Funktion in deutschen Texten gekommen ist.
Aus unseren bisherigen Ergebnissen lässt sich hypostasieren, dass die Art des Einflusses englischer Vertextungskonventionen auf deutsche Übersetzungen und Paralleltexte auch davon abhängig ist, ob beide Sprachen über form- und funktionsäquivalente Mittel verfügen.
In der kommenden Projektphase gilt es, die bisher erzielten Ergebnisse weiter zu substantiieren. Zum einen soll zunächst für das zweite Genre – Wirtschaftskommunikation – untersucht werden, ob sich für deutsche Übersetzungen und Originaltexte im Kontakt mit dem Englischen die gleichen oder auch andere – evtl. genrespezifische – Veränderungen ergeben. Zum anderen muss eine systematische Analyse der Übersetzungsrelation und der Verwendungskontexte in Original- Übersetzungs-, und Paralleltexten durchgeführt werden, da die bisherigen quantitativen Untersuchungen nur die reine Frequenz des Vorkommens der sprachlichen Formen in separaten Datensätzen widerspiegeln, die an sich keinen Aufschluss darüber gibt, welche sprachlichen Formen im englischen Ausgangstext die entsprechenden sprachlichen Formen in der Übersetzung ausgelöst haben. Es kann derzeit also noch nicht erklärt werden, welche syntaktisch-semantischen oder diskurs-semantischen Gründe im englischen Ausgangstext zur Verwendung einer Konjunktion, Partikel, Personaldeixis oder Verweisform in der deutschen Übersetzung führen, die dort zum verstärkten Ausdruck interpersonaler Orientierung des Textes und eher sprachspezifisch englischen Konventionen der Informationsanordnung beiträgt. Um diese Phänomene näher bestimmen zu können, muss nun am nach übersetzungsäquivalenten Sätzen alignierten Korpus die Übersetzungsrelation derjenigen sprachlichen Mittel untersucht werden, die sich im Kontakt mit dem Englischen als in Veränderung begriffen gezeigt haben. Eine vergleichende Analyse der Verwendungskontexte in den deutschen Übersetzungen und den deutschen Originaltexten gibt dann Aufschluss darüber, ob die Verwendungszusammenhänge in Übersetzungen und Originaltexten übereinstimmen oder nicht. Es gilt herauszufinden, ob deutsche Übersetzungen in der Art der Verwendung von z.B. Konjunktionen, Pronomina und Partikeln beim Ausdruck von Subjektivität und Adressatenorientierung syntaktisch und textuell eher deutschen oder englischen Vertextungskonventionen folgen und eher englische oder deutsche kommunikative Präferenzen ausdrücken.
Die zu untersuchenden Phänomene umfassen Modalverben, Halbmodale, Modalwörter, Partikeln, mentale Prozesse, Deixis, Konnektoren, Satzadverbien, ing-Adverbiale, progressive aspect, Satzmodus, Matrixkonstruktionen, Frame-Konstruktionen, Kommentarparenthesen und evaluative Lexik.
Literatur und Vorträge (Auswahl)
House, J. (erscheint): “Using Translation and Parallel Text Corpora to Investigate the Influence of Global English on Textual Norms in Other Languages”.
In: Alet Kruger (Hg.) Corpus-based Translation Studies: More Research and Applications. Manchester: St.Jerome
Kranich, S. (2008). “Grammaticalization, subjectification and the layering of meanings How to deal with the semantics of the present-day English progressive”.
New Reflections on Grammaticalisation 4, University of Leuven (Belgien), 16.-19. Juli
Kranich, S. (2008). “Epistemic modality in English popular scientific texts and their German translations”.
Third Conference on Intercultural Communication, Stellenbosch University (South Africa), 14.-16. Januar
Becher, V. (2008). “The diverging use of connectives in English-German translations and German comparable texts”.
5th International Contrastive Linguistics Conference, University of Leuven (Belgium), 7.-9. Juli
House, J. (2008). “Beyond Intervention: Universals in Translation?”.trans-kom 1(1)
Becher, V., J. House & S. Kranich (2007). “Divergence and convergence of communicative norms through language contact in translation”.
International Colloquium on Convergence and Divergence in Language Contact Situations, Universität Hamburg, 18.-20. Oktober