Healthy food
Projekt
The politics of healthy food: the case of omega-3 fatty acids
Projektbearbeitung:
Susanne Stirn (FG Landwirtschaft), Martin Döring (FG Medizin)
Laufzeit:
Querschnittsprojekt zwischen den beiden BIOGUM-Fachgebieten seit 2009
Problemstellung
Im Dezember 2006 verabschiedete das Europäische Parlament und der Rat die Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel, (EG) 1924/2006, die sogenannte „Health-Claims-Verordnung“. Danach sind gesundheitsbezogene Werbeaussagen auf Lebensmitteln nur noch erlaubt, wenn diese wissenschaftlich geprüft wurden und von der EU-Kommission in die Liste der zugelassenen „health claims“ aufgenommen wurden (EU Register of nutrition and health claims made on foods, http://ec.europa.eu/nuhclaims/). Diese Verordnung schließt eine Regulationslücke, da Lebensmittel, im Gegensatz zu Medikamenten, nicht mit Aussagen zur Beseitigung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten beworben werden durften (Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz). Trotzdem stieg seit den 90er Jahren die Anzahl an Lebensmitteln, die mit einem gesundheitlichen Zusatznutzen beworben wurden („functional foods“), stetig an (z.B. „stärkt die Immunabwehr“).
Nach Verabschiedung der „Health claims-Verordnung“ wurden über 4000 Anträge zu nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben aus den Mitgliedsländern eingereicht. Von denen sind nur 222 Angaben (entsprechen ca. 500 Anträgen) in die Liste der zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben aufgenommen worden, 1600 Anträge wurden nicht zugelassen, die übrigen Anträge befinden sich noch im Zulassungsverfahren (Stand: Dezember 2012). Die meisten Angaben beziehen sich auf die gesundheitlichen Wirkungen von Vitaminen und Mineralien (z.B. Vitamin C, Kalzium o.ä.). Eine der wenigen organischen Substanzen, deren gesundheitsbezogene Angabe auf Lebensmitteln zugelassen wurde, sind die mehrfach ungesättigten omega-3 Fettsäuren DHA (Docosahexaensäure) und EPA (Eicosapentaensäure). Ihnen wurden positive Wirkungen sowohl auf das Herz-Kreislaufsystem als auch auf die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern beschieden.
Darum haben wir uns den Weg der omega-3 Fettsäuren durch das Zulassungsverfahren näher angesehen. Uns interessierten dabei vor allem die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Bewertung durch die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA), das Zusammenspiel zwischen wissenschaftlicher Bewertung und politischer Entscheidung in den EU-Gremien und die Frage, ob die EU ihrer Verantwortung gegenüber dem Verbraucher gerecht wird, ihn vor Irreführung zu schützen und ihm eine sachkundige Entscheidung über eine gesunde Ernährung zu ermöglichen.
Ergebnisse
In einer ersten Diskursanalyse haben wir die sprachlichen Rahmungen („frames“) aus den von den Antragstellern zur Zulassung eingereichten Veröffentlichungen untersucht und mit denen der Stellungnahmen der Europäischen Lebensmittelbehörde (EFSA), die die wissenschaftliche Evidenz der beantragten Angaben prüft, verglichen. Die Angaben bezogen sich auf die positive Wirkung der omega-3 Fettsäuren auf Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Analyse hat gezeigt, dass in den wissenschaftlichen Veröffentlichungen nicht nur Rahmungen verwendet werden, die sich auf die Prävention der Herz-Kreislauf-Erkrankungen bezogen („science-frame“ und „prevention-frame“). Der sprachliche Ansatz war viel umfassender, indem er vom westlichen Lebensstil ausgehend, angereicherten Lebensmitteln eine wesentliche Rolle bei der Lösung des Problems der Zunahme ernährungsbedingter Krankheiten zuweist („society-frame“ und „alimentation policy frame“). Diese erweiterten Rahmungen beeinflussten allerdings nicht die Entscheidungen der EFSA, die sich in ihren wissenschaftlichen Bewertungen nur auf die wissenschaftliche Evidenz und die Präventionswirkung bezog (s. Döring, Martin und Susanne Stirn (2010).
Im Falle der Entscheidungen bezüglich der Wirkungen von omega-3 Fettsäuren auf die Entwicklung und Gesundheit von Kindern zeigte sich, dass die Datenlage zum Nachweis der positiven Wirkung z.T. sehr dünn war. Dies liegt z.T. daran, dass bisher selten kontrollierte Tests an gesunden Probanden durchgeführt worden sind. Letztendlich war für eine positive Bewertung auschlaggebend, dass die mehrfach ungesättigten omega-3 Fettsäuren zu den Hauptfettsäuren im Gehirn der Säuglinge gehören und die Hauptquelle für diese die Muttermilch ist. Nach der positiven Entscheidung über diese Angaben dürfen jetzt Milchersatzprodukte (Folgemilch), die mindestens 0,3 % des Gesamtfettsäuregehaltes in Form von DHA enthalten, damit beworben werden, dass sie zur normalen Augenentwicklung des Säuglings beitragen. Diese Entscheidung wurde in der EU mit knapper Mehrheit getroffen, da Befürchtungen geäußert wurden, dies könnte zur Benachteiligung des Stillens führen. Nach wie vor ist offen, wie die Werbeaussagen von den Verbrauchern verstanden werden und zu welchen Verhaltensänderungen sie möglicherweise führen werden, da diese wichtigen Untersuchungen fehlen (s. Stirn, Susanne (2012).
Eine zweite Diskursanalyse der wissenschaftlichen Literatur zur Wirkung der omega-3 Fettsäuren auf die Gehirn- und Augenentwicklung von Foeten und Säuglingen zeigte, dass auch hier die Rahmungen weit über die wissenschaftliche Evidenz einer positiven Wirkung hinausgehen. Die Gehirn- und Augenentwicklung der Säuglinge wird rein mechanistisch dargestellt und der Mutter die Verantwortung für eine optimale Bereitstellung der essentiellen Fettsäuren zugewiesen. Dabei wird bezweifelt, dass dies aufgrund unseres westlichen Lebensstils noch ausreichend gewährleistet sei und daher nur durch angereicherte Lebensmittel erreicht werden könne. Dies trägt zu einer weiteren Verunsicherung der Eltern bei (s. Döring, Martin und Susanne Stirn (2013).
Veröffentlichungen
Döring, Martin und Susanne Stirn (2013): Contested fatty acids: A discursive analysis oft the EU Health Claims Regulation on Omega3 fatty acids, In: Röcklinsberg, Helena and Per Sandin (eds.) The ethics of consumption: The citizen, the market, and the law, Wageningen Academic Publishers, 399-404.
Stirn, Susanne (2012): Die EU health claims-Regulation auf dem Prüfstand: Angaben zu gesundheitsbezogenen Wirkungen der omega-3 Fettsäuren, BIOGUM-Forschungsbericht/BIOGUM-Research Paper FG Landwirtschaft Nr. 29, Hamburg, ISBN: 978-3-937792-31-6 PDF
Döring, Martin und Susanne Stirn (2010): Framing omega-3: the politics of essential fatty acids in functional foods. In: Casabona, Carlos M. Romeo; San Epifanio, Leire Escajedo; Cirión, Aitziber Emaldi (Eds.): Global food security: ethical and legal challenges, Wageningen Academic Publishers, PDF