Das Forum Ethnologie im Nationalsozialismus will dazu beitragen, die ethnologische Praxis im
"Dritten Reich" zu beleuchten. Ein "Forum" bedeutet eine öffentliche Diskussion oder einen
Versammlungsplatz, es stiftet und symbolisiert öffentliches Leben.
Wir möchten der Erforschung ethnologischer Arbeit und wissenschaftlicher Praxis im "Dritten Reich",
damit seiner gesellschaftlichen Praxis allgemein einen solchen diskursiven Versammlungsplatz bieten,
um Bewußtsein über dieses Thema, über gesellschaftlich-disziplinäre Kontexte, Personen und Werke zu
schaffen und wissenschaftliche Erkenntnisse pluralistisch zu verbreiten. Einsichten in die damalige
Wissenschafts- und Gesellschaftspraxis können unseren Blick für heutige Verhältnisse, Möglichkeiten und
Zwänge wissenschaftlicher Arbeit schulen. Angeleitet sind wir dabei von der Haltung, dass uns unsere
Vergangenheit verpflichtet, an die Opfer zu erinnern - was eben auch bedeutet: jene Praktiken zu untersuchen,
die Menschen im "Dritten Reich" zu Opfern sozialer Ausgrenzung machten, bis hin zu ihrer Ermordung.
Wir wollen dazu beitragen, den moralischen Imperativ Wehret den Anfängen wissenschaftlich und zivilgesellschaftlich zu unterstützen.
Daher beschränkt sich das aufzubauende Forum thematisch nicht auf die Ethnologie als wissenschaftliche Disziplin
oder auf die Zeit von 1933 bis 1945 allein. Beides trüge dazu bei, historische Kontinuitäten vor und nach
dem "Dritten Reich" als auch disziplinäre Verflechtungen und Überschneidungen zu übersehen.
Ein Nachdenken
und Erforschen der damaligen Praxis findet in unserer gegenwärtigen Gesellschaft statt, deren Haltungen
gegenüber der nationalsozialistischen Gesellschaft unser Verständnis unweigerlich beeinflussen.
Auch Arbeiten und Informationen zu verschiedenen Formen des Umgangs mit deutscher Vergangenheit werden hier reflektiert
sowie inter- oder multidisziplinäre Aspekte der damaligen wissenschaftlichen Praxis. Die mit der Annäherung an die damalige
Realität verbundene Selbstreflexion ist zentral.
Das Forum folgt aus dem Seminar "Ethnologie im Nationalsozialismus", welches Cristian Alvarado Leyton am
Institut für Ethnologie der Universität Hamburg im Sommersemester 2006 abgehalten hat. Cristian Alvarado und
Noreen Dassau leiten es redaktionell und werden dabei von Studierenden unterschiedlicher Disziplinen
unterstützt. Wir wollen zur Erforschung des Themas beitragen und sind überzeugt davon, dass das Internet
für die erste Orientierung und zur eigenständigen Einarbeitung in dieses Forschungsfeld dienen kann, gerade
indem es auf vorliegende Arbeiten zum Thema "Ethnologie im Nationalsozialismus" und auf relevante Werke
möglichst umfassend hinweist.
Trotz erster wichtiger Arbeiten seit Mitte der 1980er Jahre sind noch viele Aspekte der Ethnologie - ebenso
wie die anderer wissenschaftlicher Disziplinen - im Nationalsozialismus kaum bis gar nicht untersucht. Auch
scheint sich die Interpretationsbandbreite erst seit kurzem stärker zu differenzieren. Am gravierendsten
macht sich jedoch der Mangel bemerkbar, dass die Erforschung der Ethnologie im Nationalsozialismus häufig
ohne Rückbezug auf Praktiken jenseits der Universität im "Dritten Reich" bzw. auf Arbeiten erfolgt, die
diese anderen Bereiche nationalsozialistischer Gesellschaft untersuchen und überhaupt den Umgang mit
deutscher Vergangenheit thematisieren.
Gerade für EthnologInnen, die fast ausnahmslos die eigene
Fachgeschichte untersuchen, ist dies eine merkwürdige Vorgehensweise, sind wir es doch sonst gewohnt,
einzelne Praktiken mit Bezug auf das gesamtgesellschaftliche Ganze verstehen zu wollen. Doch auch jenseits
der Ethnologie stellt die Erforschung der wissenschaftlichen Praxis allgemein im "Dritten Reich" eines der
jüngeren und weiterhin aktuellsten Forschungsfelder dar.
Daher laden wir WissenschaftlerInnen, Studierende und interessiertes Publikum ein, sich am Forum zu
beteiligen und das Wissen über die Ethnologie, wissenschaftliche Arbeit und Gesellschaft im "Dritten Reich"
zu verbreiten. Dies kann auf vielfältige Weise geschehen: durch Manuskripte zum Themenfeld, die auf der
Internetseite erscheinen sollen, durch Hinweise auf relevante Forschungsentwicklungen und Literatur oder
durch Kommentare zu den hier publizierten Texten.
Wir wollen mit dem Internetforum einer auf den Elfenbeinturm begrenzten Reichweite wissenschaftlicher
Erkenntnisse entgegenarbeiten, um die demokratische Gesellschaft gegen Ungleichheit und Ausgrenzung zu
stärken und an die Opfer nationalsozialistischer Gesellschaft mahnend zu erinnern, damit deren Erfahrungen
des Grauens nicht vergessen werden.
Hamburg, 12. Dezember 2006
Letzte Änderung: 29. März 2020
Kontakt: ethno-im-ns [at] uni-hamburg.de
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